Quälend langsame Nazi-Walze
Marodierende Soldaten skalpieren im besetzten Frankreich Nazis. So weit, so grotesk und so typisch Quentin Tarantino. Ganz Cannes fieberte dem Film "Inglourious Basterds" entgegen - und hatte nach der Premiere des zähen Werks das Gefühl, Blut beim Trocknen zugeschaut zu haben.
Selten sah man so viele Männer auf dem Podium einer Pressekonferenz in Cannes so heftig schwitzen wie an diesem Mittwoch. Unmittelbar nach der ersten Vorführung von Quentin Tarantinos hei* erwartetem Film "Inglourious Basterds" stellte sich der Regisseur mit seinem Team den Journalisten.
Mike Myers, der im Film einen kühlen britischen General spielt, glänzte die Stirn schon vor der ersten Frage. Daniel Brühl, den Tarantino als schneidigen Nazi besetzt hat, öffnete den Kragen seines Hemdes und zog den Schlips herunter, um sich ein wenig Frische zu verschaffen. Und der Regisseur selbst sah aus, als sei er gerade zwei Stunden lang durch den Regenwald gejoggt.
Nur einer schwitzte nicht.
Er sa* allerdings auch nicht auf dem Podium, sondern direkt davor, zu Fü*en des Regisseurs. Das war der Produzent Harvey Weinstein, der viele frühere Filme Tarantinos wie "Pulp Fiction" oder "Kill Bill" verliehen hat und damit sehr reich und sehr mächtig geworden ist. Im Sommer wird er nun auch "Inglourious Basterds" in den USA ins Kino bringen.
Reglos, mit einem Blick, der den übelsten Schurken dazu bringen könnte, sich auf der Stelle zu entleiben, starrte er seinen Regisseur an. Dem strömten die Worte so unkontrolliert aus dem Mund wie das Wasser aus den Poren, dabei lachte er immer wieder hysterisch.
Man konnte den Eindruck haben, Weinstein wollte nicht weniger als den Skalp von Tarantino.
Warum er so finster guckte? Man kann nur mutma*en.
Vielleicht lag es daran, dass Tarantino auf dem Podium fröhlich erzählte, er könne sich mit allen Figuren des Films identifizieren, folglich auch mit Hitler (gespielt von Martin Wuttke) und Goebbels (Sylvester Groth), die in "Inglourious Basterds" von einer Gruppe amerikanischer Soldaten und deutscher *berläufer bei einer Filmpremiere in Paris getötet werden sollen.
Oder lag es daran, dass der Regisseur nur wenige Monate nach Drehschluss einen Film abgeliefert hatte, der so viele Längen hatte, als handle es sich um die erste Rohschnittfassung?
"Inglourious Basterds" zu sehen ist so, als würde man dem Blut beim Trocknen zuschauen.
Allein die erste Dialogszene dauert über 20 Minuten. Ein Nazi-Offizier (Christoph Waltz) sucht im Jahr 1941 mitten in Frankreich einen Bauernhof auf, um Juden aufzuspüren. Er schraubt seinen Füller zusammen, als würde er eine Waffe zusammensetzen, er trinkt voller Genuss ein Glas Milch, erklärt lang und breit, was er so macht, und trägt höchst umständlich seine Ansichten über Rattenbekämpfung vor. Nach etwa 15 Minuten schwenkt die Kamera nach unten und entdeckt unter den Dielen versteckte Menschen. Doch bevor sie kurz darauf von Maschinengewehrgarben zerfetzt werden, bekommt keiner von ihnen ein Gesicht.
Tarantino beginnt mit totalem Stillstand - und nimmt danach langsam das Tempo heraus. Ohne jedes Gefühl für Timing walzt er seine Geschichte geschlagene 160 Minuten lang über die Leinwand. Er erzählt von einer französischen Jüdin (Mélanie Laurent), die den Nazis entkommt und danach in Paris ein Kino übernimmt; von einem britischen Spezialagenten, der früher Filmkritiken geschrieben hat; und einem deutschen Scharfschützen, der ein gro*er Bewunderer des Regisseurs G.W. Pabst ist. Die ganze Welt ist cinephil, und so ist es nicht verwunderlich, dass am Ende eine gewaltige Explosion in einem Kino Hitler, Goebbels und Konsorten hinwegrafft.
Das Kino erlöste die Welt von den Nazis - das ist eine schöne retrospektive Utopie. Zugleich aber völliger Unfug. Nur in grotesker *bertreibung könnte diese Geschichte wohl einen Sinn ergeben. Doch Tarantino kann sich nie entscheiden, ob er sie nicht doch lieber ernst nehmen soll.
Brad Pitt muss als Anführer der "Basterds" noch heftiger grimassieren als jüngst in "Burn After Reading"; Laurent dagegen spielt die Heldin der Résistance mit psychologischem Realismus. In diesem Film passt wenig zusammen. Wenn sich Weinstein mit Tarantino noch einmal an den Schneidetisch setzt, gibt es viel tun.
Und mit einem feinen Skalpell wird es da nicht getan sein.